GfÖ-Präsident Prof. Volkmar Wolters ist stellvertretender Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats für Biodiversität und Genetische Ressourcen (WBB) beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft und ist zudem einer der federführenden Autoren des WBB Gutachtens. Hier die gemeinsame Pressemitteilung von WBB und WBAE vom 04. Juni 2018:
Für eine konsequent auf Gemeinwohlziele ausgerichtete europäische Agrarpolitik: Honorierung von biologischer Vielfalt, Tierwohl, Umwelt- und Klimaschutz statt Subventionen mit der Gießkanne dringend erforderlich!
Die Wissenschaftlichen Beiräte für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) und für Biodiversität und Genetische Ressourcen (WBB) beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) haben heute ihre Stellungnahmen „Für eine gemeinwohlorientierte Gemeinsame Agrarpolitik der EU nach 2020: Grundsatzfragen und Empfehlungen“ und „Für eine Gemeinsame Agrarpolitik, die konsequent zum Erhalt der biologischen Vielfalt beiträgt“ an Bundesministerin Julia Klöckner (BMEL) übergeben. Übereinstimmend stellen beide Beiräte fest: Die EU-Agrarpolitik wird den heutigen Herausforderungen im Tierwohl, Umwelt-, Klima- und Biodiversitätsschutz nicht gerecht. Die Beiräte sprechen sich daher für eine Neuausrichtung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) hin zu einer konsequent am Gemeinwohl orientierten Politik für Landwirtschaft und ländliche Räume aus.
Voraussetzung für eine Neuausrichtung der europäischen Agrarpolitik ist, dass die derzeit bestehende Fokussierung auf pauschale Flächensubventionierung überwunden wird. Gegenwärtig werden EU-weit etwa 73% der Mittel der EU-Agrarpolitik (40 Mrd. € jährlich) als Subventionen für landwirtschaftliche Flächen gezahlt. Ihre Höhe und Verteilung sind historisch bedingt und heute nicht mehr zu rechtfertigen: Sie sind weder an der Bedürftigkeit der Landwirte noch an deren Leistungen orientiert. Diese Mittel kommen zu einem wesentlichen Teil Bodeneigentümern zugute und fehlen für die dringend erforderliche gezielte Honorierung von Gemeinwohlleistungen der Landwirtschaft. Mit der Betonung einer ergebnisorientierten Politikgestaltung hat die Europäische Kommission nun ein begrüßenswertes Grundprinzip für die EU-Agrarpolitik nach 2020 vorgeschlagen. Die darin vorgesehene Konzentration des Budgets auf Subventionen mit geringem öffentlichen Mehrwert würde jedoch die undifferenzierte Auszahlung von Steuergeldern fortsetzen, während die gravierenden Herausforderungen im Tierwohl, Umwelt-, Klima- und Biodiversitätsschutz sowie der Entwicklung ländlicher Räume nur am Rande adressiert werden.
Die Beiräte empfehlen der Bundesregierung daher, sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, die europäische Agrarpolitik zu einer konsequent gemeinwohlorientierten Politik weiterzuentwickeln. Der damit verbundene Abbau pauschaler Flächensubventionen sollte schrittweise erfolgen. Die Beiräte empfehlen zudem, den heute schon bestehenden nationalen Handlungsspielraum für die Stärkung einer umwelt-, klima-, biodiversitäts- und tierfreundlichen Landwirtschaft zu nutzen.
Die Beiräte betonen, dass die jeweiligen Stellungnahmen unabhängig voneinander erstellt wurden und sich entsprechend der unterschiedlichen Ausrichtung ergänzen. Der WBAE orientiert sich am gesamten Zielspektrum der europäischen Agrarpolitik und formuliert Grundsätze einer gemeinwohlorientierten Agrarpolitik und Empfehlungen für einen mittelfristigen Umbau. Der WBB fokussiert auf das Ziel der biologischen Vielfalt. Er zeigt Optionen auf, wie – auch bei Fortsetzung der flächenorientierten Direktzahlungen – eine notwendige Umorientierung der EU-Agrarpolitik eingeleitet werden kann.
Der WBAE diskutiert zunächst die Ziele der EU-Agrarpolitik vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung. „Es ist aus Sicht des Beirats dringend erforderlich, die EU-Agrarpolitik stärker an heute prioritären Zielen wie dem Tierwohl, Umwelt- und Klimaschutz auszurichten“, so Prof. Britta Renner, die stellvertretende Vorsitzende des WBAE. Der WBAE empfiehlt unter anderem,
- i) den von der Europäischen Kommission skizzierten Weg einer stärkeren Ergebnisorientierung und Dezentralisierung der EU-Agrarpolitik zu unterstützen,
- ii) langfristig nur noch die Marktordnungen und Teile des Klima- und Biodiversitätsschutzes vollständig durch die EU zu finanzieren,
- iii) das Angebot von Maßnahmen zur Honorierung umwelt-, klima- und tierwohlbezogener Gemeinwohlleistungen der Landwirtschaft auszubauen und konsequent durch die Mitgliedstaaten kozufinanzieren,
- iv) den Verwaltungsaufwand auf ein angemessenes Maß zu reduzieren und
- v) die Agrar- und Ernährungspolitik aufeinander abzustimmen sowie in Deutschland das verbraucherorientierte ernährungspolitische Instrumentarium wesentlich stärker als bisher für Umwelt-, Klima- und Tierwohlziele einzusetzen.
Der WBB gibt zunächst einen Überblick über den Verlust der biologischen Vielfalt in Agrarlandschaften und anderen von der Landwirtschaft betroffenen Ökosystemen. Dazu der stellvertretende Vorsitzende des WBB, der Ökologe Prof. Volkmar Wolters: „Ob wir uns Vögel, Insekten oder Amphibien ansehen – die Lage ist bei allen Lebensformen und Lebensräumen dramatisch und verschlechtert sich weiter. Die Umweltmaßnahmen der letzten 30 Jahre waren offenbar ungenügend.“ Der WBB empfiehlt
- i) die Verknüpfung der flächenbezogenen Zahlungen mit wirksamen Beiträgen der Empfängerbetriebe zum Erhalt der biologischen Vielfalt,
- ii) eine ausreichende Finanzierung von standortspezifischen Agrarumwelt- und Agrarklimaschutzmaßnahmen und
- iii) die Entwicklung von integrierten Plänen zum Landschafts- und Ressourcenmanagement durch die betroffenen Gruppen im ländlichen Raum.
Der WBB zeigt auf, wie die flächenbezogenen Agrarzahlungen in der neuen, ergebnisorientierten GAP mit einem ökologischen Punktesystem verknüpft werden können, das bei schrittweiser Einführung den Betrieben hinreichend Zeit zum Lernen und für Anpassungen gibt.
Bei der Übergabe betonte der Vorsitzende des WBB, Prof. Peter Feindt: „Deutschland und die EU sind rechtlich verpflichtet, die natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten. Dazu muss die GAP beitragen. Wenn man die Agrarzahlungen an ein Punktesystem für Leistungen zur biologischen Vielfalt knüpft, kann das auf marktkonforme Weise die volkswirtschaftliche Effizienz erhöhen und die umweltfreundlichen Betriebe belohnen.“ „Eine konsequent am Tierwohl, Umwelt-, Klima- und Biodiversitätsschutz ausgerichtete EU-Agrarpolitik würde die Landwirtschaft bei der Bewältigung ihrer Herausforderungen unterstützen und langfristig gesellschaftliche Akzeptanz finden“, so Prof. Harald Grethe, Vorsitzender des WBAE, „damit würden verlässliche agrarpolitische Rahmenbedingungen für das nächste Jahrzehnt geschaffen“.
Ansprechpartner:
Kontakt: wbae-wbb-presse@web.de
Prof. Dr. Harald Grethe (Vorsitzender des WBAE), Tel. 030 2093 46810, grethe@hu-berlin.de
Prof. Dr. Peter H. Feindt (Vorsitzender des WBB), Tel. 030 2093 46322, peter.feindt@hu-berlin.de
Dr. Julia C. Schmid (wiss. Mitarbeiterin des WBAE), Tel. 030 2093 46822, j.c.schmid@hu-berlin.de
Download der Stellungnahmen:
WBAE: Für eine gemeinwohlorientierte Gemeinsame Agrarpolitik der EU nach 2020: Grundsatzfragen und Empfehlungen. http://www.bmel.de/DE/Ministerium/Organisation/Beiraete/_Texte/AgrOrganisation.html
WBB: Für eine Gemeinsame Agrarpolitik, die konsequent zum Erhalt der biologischen Vielfalt beiträgt. https://beirat-gr.genres.de/gutachten-stellungnahmen/
Informationen zu den Beiräten:
Der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) ist interdisziplinär besetzt und unterstützt das Ministerium bei der Entwicklung seiner Politik in diesen Bereichen. Das Gremium arbeitet unabhängig und erstellt auf ehrenamtlicher Basis Gutachten und Stellungnahmen. http://www.bmel.de/DE/Ministerium/Organisation/Beiraete/_Texte/AgrOrganisation.html
Der Wissenschaftliche Beirat für Biodiversität und Genetische Ressourcen berät das BMEL bei allgemeinen und grundsätzlichen Fragen der Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der biologischen Vielfalt, insbesondere der genetischen Ressourcen für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Das interdisziplinäre Gremium arbeitet ebenfalls ehramtlich und unabhängig. https://beirat-gr.genres.de/