Biodiversitäts- und klimaschädliches Wirtschaften darf sich nicht mehr lohnen

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Impulsgeber beim 10. Diskussionsforum Ökosystemleistungen (von links): Prof. Dr. Aletta Bonn (UFZ & iDiv), Dr. Elsa Nickel (Abteilungsleiterin Naturschutz, BMU), Ulrich Stöcker (Moderation, Deutsche Umwelthilfe), Dr. Katrin Reuter (Geschäftsführerin Initiative 'Biodiversity in Good Company‘) und Dr. Kristina Raab (UFZ & AWI)

Botschaft aktueller IPBES-Berichte für Deutschland: Biodiversitäts- und klimaschädliches Wirtschaften darf sich nicht mehr lohnen


Der Weltbiodiversitätsrat IPBES warnt: Die biologische Vielfalt nimmt in allen Regionen der Welt weiter ab, und damit die Fähigkeit der Natur, zum Wohlergehen der Menschen beizutragen. Dieser alarmierende Trend gefährdet die Wirtschaft, die Lebensgrundlagen, die Ernährungssicherheit und die Lebensqualität der Menschen auf der ganzen Welt. In Berlin wurde der „Regionale Bericht zu Biodiversität und Ökosystemleistungen in Europa und Zentralasien“ und der Bericht zu Landdegradierung und Wiederherstellung nun offiziell für Deutschland vorgestellt und diskutiert, wie seine Botschaften bei nationalen Entscheidungsträgern in Politik, Unternehmen und Gesellschaft mehr Gewicht bekommen könnten.

Die Botschaften des Weltbiodiversitätsrates IPBES in seinem „Regionalen IPBES-Bericht zu Biodiversität und Ökosystemleistungen in Europa und Zentralasien“, der im Frühjahr veröffentlicht wurde, lesen sich ähnlich alarmierend wie der aktuelle IPCC-Bericht: Ganze 50 % der regulierenden und einigen immateriellen Ökosystemleistungen in Europa und Zentralasien seien zwischen 1960 und 2016 verloren gegangen, so der Bericht zu Biodiversität und Ökosystemleistungen in Europa und Zentralasien. 25 % der landwirtschaftlichen Flächen in der EU sind von Bodenerosion und zurückgehender Fruchtbarkeit betroffen. Die Wasserverfügbarkeit pro Kopf sank seit 1990 um 15 %. 27 % der Arten- und 66 % der Lebensraumtypen weisen einen "ungünstigen Erhaltungszustand" auf, während der Rest als "unbekannt" gilt. Im Wasser ergibt sich ein ähnliches Bild: Nur 7 % der marinen Arten und 9 % der marinen Lebensraumtypen in der Europäischen Union befinden sich in einem "günstigen Erhaltungszustand".

Die hohe und noch weiter zunehmende Intensität der konventionellen Land- und Forstwirtschaft ist seiein wesentlicher en wesentliche Treiber des Rückgangs der Biodiversität, in den Gewässern nicht-nachhaltige Fischerei, Habitatverschlechterung, invasive gebietsfremde Arten, Eutrophierung und der Klimawandel spielen ebenfalls eine große Rolle.. Materielle Leistungen der Natur wie Nahrung und Energie würden auf Kosten von regulierenden Leistungen wie Bestäubung und Bodenbildung u.a. gefördert und ausgebeutet. Doch die Bedeutung des Klimawandels für den Rückgang der Biodiversität nimmt stark zu und dürfte künftig an erster Stelle der Ursachen stehen, mahnen die Autoren.

Das gesammelte Wissen des Weltbiodiversitätsrates IPBES bildet eine gute Grundlage, damit der Wert der biologischen Vielfalt in politischen, administrativen und unternehmerischen Entscheidungen in Deutschland stärkere Berücksichtigung findet. Nur wie erreicht man diese Entscheider nun? Das diskutierten die Gäste des 10. "Diskussionsforums Ökosystemleistungen" am 9. Oktober 2018 in Berlin.

Die Veranstaltungsreihe wird partnerschaftlich von der Deutsche Umwelthilfe, der 'Biodiversity in Good Company' Initiative e. V., dem Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig und dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung ─ UFZ durchgeführt. Kooperationspartner waren die Gesellschaft für Ökologie (GfÖ), das Projekt INTERNAS von UFZ und Alfred-Wegener-Institut (AWI) sowie das Netzwerk-Forum zur Biodiversitätsforschung Deutschland (NeFo).

Dr. Stefan Hotes erläuterte die Rolle der Gesellschaft für Ökologie in IPBES: Die GfÖ ist akkreditierter Beobachter der Vollversammlungen und an nationalen IPBES-Prozessen und an der Zusammenarbeit mit Ministerien beteiligt. Eine wichtige Aufgabe ist die Vermittlung von GfÖ-Wissenschaftlern in den IPBES-Prozess. Nun steht die Verbreitung und zielgruppengerechte Aufbereitung der Berichte an, wozu die GfÖ in Zukunft weiter beitragen wird.
In der anschließenden Diskussion wurde deutlich: Der Zeitpunkt, Aufmerksamkeit für die Ergebnisse des Weltbiodiversitätsrates zu schaffen, ist günstig. Vor allem die berühmten Zahlen des Entomologischen Vereins Krefeld haben der breiten Wahrnehmung für den Biodiversitätsverlust die Türen weit geöffnet. Um 75 % ist die Biomasse von Fluginsekten sind in den letzten 30 Jahren in deutschen Naturschutzgebieten zurückgegangen. Dieser Schwund hat längerfristig auch Auswirkungen auf das Leben der Menschen, denn mit den Insekten schwinden auch deren sogenannten Ökosystemleistungen wie Bestäubung und Schädlingskontrolle.

Erst kürzlich zeigten Göttinger Forscher, dass die Leistung der vielen Bienenarten bei Erdbeeren einen um 54 % höheren Handelswert ergäbe, als bei Selbstbefruchtung. Allein für in der EU verkaufte Erdbeeren sei die Insektenbestäubung jährlich gut eine Milliarde Euro wert. Drei Viertel der Nahrungspflanzen der Welt hängen von der Bestäubung ab, was einem Gegenwert von 235 und 577 Mrd. US-Dollar entspricht, fasste der Weltbiodiversitätsrat IPBES in seinem ersten Bericht 2016 zusammen.

Dies ist ein seltenes Beispiel, wo der wirtschaftliche und gesellschaftliche Wert der biologischen Vielfalt in harter Währung sichtbar wird. Die meisten Ökosystemleistungen haben jedoch keinen Marktwert und bleiben deshalb unerkannt, ihr Verlust verursacht Kosten, die in politischen und unternehmerischen Entscheidungen kaum Berücksichtigung finden.

Können die Berichte des IPBES daran etwas ändern? Information und Aufklärung allein reicht jedenfalls nicht, war eine wichtige Botschaft des Abends. Es bedarf Allianzen und Vorreiter in den Reihen der zu überzeugenden Akteure. Oft würden evidenzbasierte Fakten aus einer politischen Haltung heraus ignoriert. Strategien seien aus der Politikforschung in anderen Themenbereichen der Umweltpolitik lange bekannt.

„Es darf sich nicht mehr lohnen, gegen das Klima und die Biodiversität zu wirtschaften“, meinte entsprechend Dr. Elsa Nickel, Leiterin der Abteilung Naturschutz beim Bundesumweltministerium. „Wir brauchen vielmehr neue Modelle, damit Unternehmen von Biodiversität schonendem Wirtschaften auch etwas haben“. Ein wichtiger Player, der oft vergessen würde, sei hier auch die Finanzwirtschaft.

Allerdings sind IPBES-Berichte aus Sicht der meisten Unternehmen zu weit von der unternehmerischen Realität entfernt und müssen auf Themen wie Lieferketten, Ressourcenbeschaffung etc. heruntergebrochen werden“, sagte Dr. Katrin Reuter, Leiterin Geschäftsführerin der 'Biodiversity in Good Company' Initiative e. V. Biodiversität sollte für Unternehmen in Naturkapital übersetzt werden und müsse in die unternehmerische Risikoabschätzung einfließen. Wichtig für Unternehmen seien nicht nur Erkenntnisse zum gegenwärtigen Stand der biologischen Vielfalt, sondern auch Ergebnisse der Risiken- und Folgenforschung.

Diese Ursachen für Landdegradierung und Biodiversitätsverlust sind unmittelbar mit unserer aktuellen Lebens- und Konsumweise verbunden. Westeuropäer verbrauchen laut IPBES mehr nachwachsende Rohstoffe als die Region produziert: 5,1 Hektar ist der ökologische Fußabdruck pro Kopf, 2,2 Hektar stehen jedoch nur jedem zu. Westeuropäer sind also auf Nettoimporte angewiesen.

Aletta Bonn, Professorin für Ökosystemleistungen am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung sowie am Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung iDiv merkte an, dass Landdegradierung ein weltweites Problem sei. „3,2 Milliarden Menschen sind derzeit davon betroffen, jährlichen entstehen dadurch Kosten von 10 % des Bruttoweltproduktes. Investition in Verbesserungen lohnen sich, denn der daraus entstehende Nutzen kann den Wert der Kosten um bis zu zehn Mal übersteigen.“

Eine Transformation hin zu einer global nachhaltigen Gesellschaft, wie sie in den UN-Nachhaltigkeitszielen festgeschrieben sind, ist also unumgänglich, und der IPBES-Bericht zu Europa und Zentralasien ermutigt auch zum Handeln: „Wir kennen die Möglichkeiten, den Verlust zu stoppen und natürlichen Ressourcen nachhaltig zu nutzen“, schreiben die Autoren. Es gibt viele Beispiele für nachhaltige land- und forstwirtschaftliche Praktiken, die der biologischen Vielfalt und dem Beitrag der Natur für die Menschen in der Region zugutekommen. Ein weiteres Wirtschaftswachstum könne allerdings nur dann eine nachhaltige Entwicklung ermöglichen, wenn es von der Degradierung der biologischen Vielfalt und der Fähigkeit der Natur, einen Beitrag für die Menschen zu leisten, entkoppelt wäre, was tiefgreifende politische Veränderungen und Steuerreformen auf globaler und nationaler Ebene erfordere.

Alle IPBES-Berichte finden Sie unter https://www.ipbes.net/assessment-reports

KONTAKT  

Sebastian Tilch
NeFo-Pressereferent
c/o Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung - UFZ
Department Naturschutzforschung
Tel. 0341/235-1062
Email: sebastian.tilch@ufz.de